Auf Platt zu schwatzen hat oft beruhigt

Die Leitstelle, das war damals meine Frau, erzählt Karl-Wilhelm Beyer und blickt in nickende Gesichter.

Beyer ist einer, der schon dabei war, lange bevor es die zentrale Einsatzleitstelle des Schwalm-Eder-Kreises in Homberg/Efze gab. Die Gesichter, in die er blickt, während er seine Erinnerungen aus alten Zeiten teilt, gehören zu einstigen Mitstreitern aus dem Rettungsdienst und der Leitstelle. Mit am Tisch sitzen Dietmar Ehrhardt, Karl-Heinz Klinger und Karl Wagner, der später sogar erster Leitstellenleiter werden sollte. Sie alle haben hautnah miterlebt, wie es war, als es noch kein einheitliches Notrufsystem gab und die heute gängige Nummer 112 noch niemand kannte.

Erst vor wenigen Tagen, am 11. Februar, wurde mit dem „Europäischen Tag des Notrufs“ wieder länderübergreifend darauf aufmerksam gemacht, dass seit gut 30 Jahren unter der 112 europaweit ein Notruf abgesetzt werden kann. Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts war daran noch nicht zu denken. „Da hat man noch zu Hause angerufen. Eine einheitliche Nummer gab es nicht, sondern jeder Altkreis hatte eine andere. Der Notruf ist immer auf den Hausanschluss der Person umgestellt worden, die Dienst hatte. Dann ist man vom eigenen Haus los an den Einsatzort gefahren. Anfangs noch ganz allein, später dann immerhin zu zweit“, erzählt Karl Wagner.

Das Rettungsfahrzeug glich zu dieser Zeit eher einem Transportfahrzeug. „Wir hatten kleinere Hilfsmittel an Bord, wie etwa Sauerstoff oder auch Nadel und Faden sowie Verbandszeug. Mit einem heutigen Rettungswagen hatte das aber nichts gemein. Durch einen Spiegel, der hinten im Fahrzeuginneren auf die verletzte Person gerichtet war, konnten wir zumindest Blickkontakt halten“, erinnert sich Dietmar Erhardt.

(v. li.) Dietmar Ehrhardt (ehem. Mitarbeiter Leitstelle), Uwe Wunsch (stellv. Fachbereichsleiter Brand-, Katastrophenschutz und Rettungswesen), Karl-Wilhelm Beyer (ehem. Mitarbeiter Leitstelle), Karl Wagner (ehem. Leitstellenleiter), Moritz Genau (aktuell jüngster Mitarbeiter Leitstelle), Karl-Heinz Klinger (ehem. Mitarbeiter Leitstelle), Peter Hoos (aktueller Leitstellenleiter), Landrat Winfried Becker und Kreisbrandinspektorin Tanja Dittmar

Die Patienten habe man in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht, wo dann erst die ärztliche Versorgung stattgefunden habe. „Als die Fahrzeuge später dann in Wachen stationiert waren, haben wir den jeweiligen Arzt vor dem Krankenhaus eingesammelt und sind dann zum Einsatzort gefahren“, weiß Karl-Wilhelm Beyer zu erzählen.

Genau 50 Jahre ist es in diesem Jahr her, dass schließlich bundesweit das sogenannte Notrufsystem 73 eingeführt wurde und damit bundeseinheitlich die 112 und 110 im Notfall ohne Vorwahl und vor allem kostenfrei angerufen werden konnte. Bis alle Notrufe jedoch gebündelt bei einer zentralen Leitstelle, im nach der Gebietsreform 1974 neu entstandenen Schwalm-Eder-Kreis eingehen sollten, dauerte es noch einige Jahre.

Der damalige Landrat August Franke schloss im Jahr 1980 mit dem DRK-Kreisverband einen Vertrag über den Betrieb einer Leitstelle für den Schwalm-Eder-Kreis im DRK-Haus Ziegenhain. Es war die erste Leitstelle mit Tag- und Nachtbesetzung, die nicht nur für den Rettungsdienst, sondern auch für die Feuerwehren zuständig war. Auch automatische Brandmeldeanlagen wurden hierher aufgeschaltet.

Bis zum Umzug der Leitstelle nach Homberg/Efze sollte es jedoch noch rund zwölf Jahre dauern. Mit der Kommunalisierung der Leitstellen und der Zuständigkeit des Gesundheitsamtes erfolgte am 3. Februar 1992 der Umzug in den Feuerwehrstützpunkt der Kreisstadt. Sieben Beschäftigte des DRK wurden vom Kreis übernommen, zwei davon arbeiten heute noch in der Leitstelle.

Bis Ende der 90er-Jahre lief die Koordination der Rettungswachen und Einsatzfahrzeuge ausschließlich analog ab.

Wir hatten große Listen, in denen wir alles dokumentiert haben. Die technischen Hilfsmittel waren zu dieser Zeit noch sehr limitiert. Wir haben bei der Koordination der Rettungswagen viel aus dem Kopf gearbeitet, weil wir wussten, wer unterwegs war und wer nicht. Das hat damals immer einwandfrei funktioniert, so Karl Wagner.

Im Jahr 2000 wurde die Leitstelle dann aus dem Gesundheitsamt ausgegliedert und dem neu gebildeten Fachbereich 37 – Brand-, Katastrophenschutz und Rettungswesen – zugeordnet. Mit dem Umzug des Fachbereichs in das Behördenzentrum in Homberg, zog im Juni 2002 auch die Leitstelle dorthin. Mit dem Umzug schritt auch der technische Fortschritt stetig voran. „Anfangs hatten wir die Computer nur zur reinen Dokumentation. Heute sind sie nicht mehr wegzudenken. Wir arbeiten über Stichworte mit georeferenzierter Alarmierung“, erklärt Peter Hoos, der 2004 die Leitstellenleitung von Karl Wagner übernommen hat und bis heut innehat.

Trotz aller technischer Hilfsmittel, sei der Faktor Mensch bei der Entgegennahme eines Notrufs noch immer der wichtigste.

Man darf nie vergessen, dass sich die Menschen am anderen Ende der Leitung in einer Notsituation befinden. Um die Situation etwas zu beruhigen und wichtige Informationen zu bekommen hat es auch mal geholfen auf Platt zu schwatzen. Das hat oft beruhigt, erzählt Karl-Heinz Klinger.

Waren es 1992, beim Übergang der Zuständigkeit für die Leitstelle auf den Schwalm-Eder-Kreis, noch sieben Beschäftigte, arbeiten heute 15 Beschäftigte in der Leitstelle. Auch die Zahl der Einsätze hat sich in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdoppelt: 19.870 Einsätze mussten 1992 koordiniert werden, im vergangenen Jahr waren 50.851.

Zahlen, Daten, Fakten: So ist die Leitstelle im Laufe der Jahre gewachsen:

1992 (Zuständigkeit Kreis):
19.870 Einsätze / 7 Beschäftigte

Im Detail: 12.801 Krankentransporte, 6.127 Notfalleinsätze, 942 Feuerwehreinsätze

2002 (Umzug in das Behördenzentrum):
28.308 Einsätze / 10 Beschäftigte

Im Detail: 12.327 Krankentransporte, 11.202 Notfalleinsätze, 3.566 Notarzteinsätze, 1.213 Feuerwehreinsätze

2019 (Inbetriebnahme aktuelle Leitstelle):
41.769 Einsätze / 14 Beschäftigte

Im Detail: 11.893 Krankentransporte, 21.906 Notfalleinsätze, 6.592 Notarzteinsätze,
1.378 Feuerwehreinsätze

2022:
50.851 Einsätze / 15 Beschäftigte

Im Detail: 12.406 Krankentransporte, 29.262 Notfalleinsätze, 7.562 Notarzteinsätze,
1.621 Feuerwehreinsätze

(Bildautor: Julian Klagholz Kreisverwaltung Schwalm-Eder)